En-Courage
„Und da hab ich mir gesagt: Du musst was tun. Engagier Dich endlich!“
Eine hyperaktivistische Versuchsreihe, sich selbst und anderen Mut zu machen.
Die Idee zu „En-Courage“ ist während des ersten Lockdowns 2020 entstanden. Die Regisseurin Colyne Morange aus Frankreich und ihre Kollegin, langjährige Dramaturgin und Freundin Heike Bröckerhoff standen plötzlich ohne ihre Arbeit da. Die Theater waren geschlossen. Während Colyne ihre Wohnung nicht weiter als in 5 km Umkreis und nur mit Attest verlassen durfte, schaute Heike nach, wo die Grenzen von Hamburg verlaufen. Wenn der Bewegungsraum schon so klein ist, können sie dann nicht zumindest ihren Handlungsspielraum erweitern? Warum nicht endlich mal was tun und sich für andere Menschen engagieren? Mit einem Hauch von Aktionismus und Selbstironie versuchen die beiden ungefragt anderen Menschen, Mut zu machen. Sie schreiben Briefe an Bewohner:innen eines Altenheims oder telefonieren sich die Finger wund, um Lebensmittelspenden von Supermärkten einzusammeln, die schon zu viele Abnehmer:innen haben. Mit Sprachnachrichten halten sie sich über die hoffnungsvollen und hoffnungslosen Momente auf dem Laufenden. Es entspinnt sich ein Dialog über erfolgreiches Scheitern und darüber wie ermutigend es sein kann, anderen Mut zu machen.
Diese Hörspielfolge wird voraussichtlich 2022/23 produziert.
Colyne Morange: Nicht letzte Woche, sondern in der Woche vorher hab ich mir gesagt, Du musst was tun, Du willst ja gerade nicht einfach irgendwas... Du kannst nicht wirklich arbeiten, also ist das jetzt der Moment.
Du hattest das schon lange vor..
Engagier Dich!
Ton Radio
Wie können wir helfen? Wonach fühlen wir uns
Ich könnte mich um niemanden kümmern, der krank ist und sich übergeben muss.
Ton Radio
Colyne singt zur Musik
Colyne: Die Stadt Nantes hat mich zurückgerufen, und gefragt, ob ich noch Zeit hätte, was zu übernehmen.. und ich hab gesagt, klar, ich kann was machen. Das einzige, was ich gerade tun könnte, ist Sachen transportieren, mit dem Auto... Masken oder..
und ich hab gesagt, okay klar. Und seitdem haben sie mich nicht mehr angerufen.
Und das mit dem Essen, ich war in drei oder vier Supermärkten und alle haben gesagt: nein, wir haben schon Organisationen an die wir spenden
Heike: 34?
Colyne: Nein, drei oder vier.
Also hab ich mich gefragt, ob ich zu spät dran war.
Ich komm mir total bescheuert vor, ich weiß nicht, wie ich das machen soll
und wenn ich das jetzt schaffe drei oder vier Kekspackungen zu sammeln, also weiß ich auch nicht, soll ich jetzt was kaufen
Und jetzt mit den Ausgangsbeschränkungen, ich weiß nicht wie ich das machen soll, einfach hingehen, und sagen: Guten Tag.. wie soll ich darauf beharren, ich hab das Gefühl, ich hab nicht mal die Werkzeuge um..
Muss ich insistieren und sagen: aber wir, ja, mehr.. ?
das ist zum Beispiel ein Handlungsversuch.
Was können wir ganz konkret tun?
Ah ja, ich könnte Lieder singen für ältere Menschen
Colyne singt
Heike: Und sie jetzt, haben eine ganz konkrete Anfrage. Schreibt Briefe an Menschen, die in Altenheimen leben. Aber das ist auch ein bisschen seltsam, einem Menschen zu schreiben, von dem Du nicht weißt wer das ist, den du nicht kennst..
Was erzähle ich diesem Menschen, von meinem Leben oder was?
Ich hab mir gedacht, das wäre was, das ich machen kann.
Vielleicht muss ich mich ein bisschen zwingen, was zu sagen zu haben
Aber was hab ich so einer Person zu sagen
Colyne: Das ist doch interessant, vielleicht müssen wir was schreiben, Du und ich, wir schreiben einen Brief an jemanden, den wir nicht kennen.
Liebe Frau Simons,
Stört es Sie, wenn ich Sie einfach so nenne? Ich hoffe nicht...
Es hilft mir zu schreiben, wenn ich Sie mit einem, ihrem Namen ansprechen kann.
Worte, die Hoffnung geben? Wie klingen Sie? Oder ist es die Geste selbst, die hoffen lässt: hier draußen ist jemand. Ein anderer Mensch. Jemand denkt an Sie! Jemand weiß, dass Sie da sind. Auch wenn wir uns nicht kennen.
Ein Brief, das ist auch Zeit, die wir einer anderen Person widmen.
Wie verbringen Sie Ihre Tage?
Schauen Sie stundenlang aus dem Fenster? Warten Sie auf einen Friseurtermin? Schneidet Ihnen jemand die Nägel?
Fühlen Sie sich isoliert? Haben Sie sich nicht vielleicht auch vor der Pandemie schon isoliert gefühlt? Sind Sie gern dort, wo Sie sind? War das Ihre Entscheidung, dort zu leben? Wie sind Ihre Nachbarinnen und Nachbarn? Ich wüsste gern mehr über Sie.
In Krisen spürt man doch, wer wirklich für einen da ist. Ich lese viel und schaue Nachrichten, höre Podcasts und informiere mich über die politische Lage in den USA und Brasilien, in Hong Kong und versuche mich den Menschen, die dort auf die Straße gehen oder auf der Straße leben, nah zu fühlen, mich ihnen ähnlich zu fühlen. Aber ich bin es nicht. Ich sitze hier in meiner 80m2 Wohnung und habe nichts mit ihnen zu tun. Ich würde gern etwas spüren, wenn ich diese Bilder sehe.
Dürfen Sie mittlerweile Besuch empfangen, Frau Simons?
Wen haben Sie gewählt? Welchen Menschen möchten Sie sehen, wenn es nur eine Person wäre, zu der Sie Kontakt haben dürfen?
Erinnern Sie sich an die Berührungen und Gesten, die für uns vor Beginn der Krise noch so selbstverständlich schienen?
Mir fehlen diese Berührungen. Als sei uns eine gesamte Palette an Kommunikations- und Ausdrucksformen für Gefühle abhanden gekommen.
Gerade weiß ich nicht, ob ich den Brief für Sie oder für mich selbst schreibe. Solange ich schreibe bin ich da, besteht die Möglichkeit wahrgenommen zu werden, meine Gedanken könnten jemanden erreichen. Eine Art nicht stumm zu sein. Aber nur zu sprechen ohne zuzuhören, reicht vielleicht auch nicht.
Ich muss gestehen, ich habe Sie mir als Frau vorgestellt. Als sehr elegante Dame, die auch an Ihrem Fenster sitzt, während sie diesen Brief liest. Vielleicht liege ich damit völlig falsch. Ich kann es nicht wissen. Aber das gefällt mir irgendwie auch. Diese Unmöglichkeit zu wissen, wer die/der andere ist.
Wer hört Ihnen jetzt zu? Wenn Sie mögen, erzählen Sie mir doch davon. Ich schreibe Ihnen hier auch meine Telefonnr. mit auf, falls Ihnen das Sprechen leichter fällt als das Schreiben.
Vielleicht erfahre ich auch bald etwas über Sie, zum Beispiel, dass Sie keine Frau sind und nicht gern am Fenster sitzen. Vielleicht bleibt es aber auch bei diesem Brief und meiner Vorstellung von Ihnen. Ich denke an Sie, und habe jetzt verrückterweise, das Gefühl, Sie ein wenig zu kennen und Ihnen etwas näher zu sein.
Mit herzlichen Grüßen,
alles Gute
Heike
En-Courage ist eine Recherche initiiert von Heike Bröckerhoff in Zusammenarbeit mit Colyne Morange.
©2022 Heike Bröckerhoff